Schlaun Stratoflight

Moderner Unterricht: Live im Netz und am Rande des Weltalls

Unterrichtsinhalte so vermitteln, dass sie im Kopf bleiben, Unterricht so gestalten, dass er herausfordert, Bedeutung in der eigenen Lebenswelt hat und Gelerntes mit echten Erlebnissen verbindet – diesem Anspruch wurde das Schlaun mit einer modernen Schnitzeljagd am Rande des Weltalls auf besondere Art gerecht.

Im Januar 2023 begann die Fachschaft Physik, sich mit der Möglichkeit eines Stratosphärenflugs eines eigenen Wetterballons zu beschäftigen. Nach einer Schulung durch die Firma Stratoflights wurde der Lehrplan im Jahrgang 9 kurzfristig so modifiziert, dass die Schülerinnen und Schüler sich in Erdkunde, Biologie und Physik mit den physikalischen Grundlagen des Flugs, den Wetterbedingungen, der Flugroutenberechnung und möglichen Landegebieten und Experimenten für den Flug beschäftigen konnten. Zeitgleich bildete die SV ein Medienteam, das den Flug live auf Instagram begleiten sollte.

Bau der Sonde:

Die Sonde wurde von einem Schüler- und Lehrerteam in der Vorbereitungsphase des Fluges gebaut. Sie bestand aus einem Styroporkasten mit zwei Flügeln und einem langen „Arm“, um die Experimente zu halten. In der Sonde wurden zwei Kameras, eine für den Blick auf die Experimente und den Horizont und eine für den Blick nach unten, eingebaut. Für die Aufzeichnung der Daten wurde ein Datenlogger verbaut, der neben der Position und der Außen- und Innentemperatur auch die Luftfeuchtigkeit, den Luftdruck und die Lichtintensität (UV und Infrarot) sowie die Geschwindigkeit und Steig- und Sinkraten messen konnte. Mittels zweier GPS-Tracker, die über verschiedene Wege (mobile Datenverbindung per SIM-Karte bzw. Satellitenverbindung) mit der Außenwelt kommunizieren konnten, wurde gewährleistet, die Sonde während des Flugs beobachten und anschließend wiederfinden zu können. Da der erste auf eine Verbindung zum Mobilfunknetz angewiesen war, funktionierte er nur bis zu einer Höhe von ca. 18 km und konnte damit nur Daten aus dem ersten und letzten Flugdrittel senden. Letzterer ermöglichte es, während des gesamten Fluges Positionsdaten zu empfangen und den Ballon zu beobachten. Die Kameras und der Datenlogger mussten mit speziellen Batterien und Powerbanks während des Fluges mit Strom versorgt werden, da die normalen Batterien auf Grund der extremen Temperaturen nicht lange halten.

Um den Arm mit den Experimenten an der Sonde zu befestigen, wurden von einem Schüler besondere Halterungen am 3D-Drucker gefertigt und mit ebenfalls eigens gedruckten Schrauben an der Sonde befestigt.

Experimente:

Verschiedene Experimente, vorbereitet von zwei Klassen des 9. Jahrgangs, wurden an der Sonde befestigt. Es handelte sich um drei mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllte Reagenzgläser (Wasser, Fanta, 40% Alkohol), mit denen die Eigenschaften der Flüssigkeiten bei sinkender Umgebungstemperatur gezeigt und untersucht werden sollten. Des Weiteren wurde eine im Unterricht hergestellte Chlorophylllösung an der Sonde befestigt und die Auswirkung der erhöhten UV-Strahlung während des Stratosphärenfluges auf den Farbeindruck des Blattfarbstoffs Chlorophyll untersucht. Weiter flogen ein Schokokuss und ein Luftballon mit, um den sinkenden Umgebungsdruck sichtbar zu machen und zu zeigen, dass sich das Gas während des Steigens des Ballons ausdehnt. Wie eine Art Galionsfigur zierte die Sonde ein Schlaun-Playmobilmännchen, das den ganzen Flug begleiten sollte.

Live-Berichterstattung:

Für die Live-Berichterstattung wurden im Vorfeld Referate von Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 9 vorbereitet. Hier ging es um das Archimedische Prinzip, Dichte, Gravitation, Auftrieb, die Experimente, die Berechnung der Flugroute, die Berechnung der Gasmenge, das Platzen des Ballons, die Wetteranalyse, den Verlust der Kommunikation mit dem GPS-Tracker und den Ablauf des gesamten Tages. Die SV schrieb unter professioneller Anleitung ein Drehbuch für den Flugtag, führte im Vorfeld ebensolche Filmaufnahmen durch und übte die Live-Übertragung von Inhalten auf Instagram.

Finanzierung:

Die gesamte Durchführung des Fluges kostete rund 2000 Euro, von denen ca. 600 Euro Verbrauchsmaterial waren, d. h. Gegenstände im Wert von ca. 1400 Euro können bei einem weiteren Flug erneut verwendet werden. Möglich gemacht wurde diese Aktion durch die Unterstützung der Rütgers-Stiftung, die einen Großteil der Kosten übernommen hat. Der restliche Betrag wurde durch unseren Förderverein getragen. Bei beiden Partnern möchten wir uns sehr herzlich bedanken!

Flugtag:

Nachdem der erste Starttermin wetterbedingt abgesagt wurde, konnte der Flug nun stattfinden. Am Vortag wurden die letzten Plakate fertiggestellt, das Mission Control Center vorbereitet, die Sonde und der Ballon sowie das Bergungsfahrzeug gepackt und das letzte Mal die Flugroute berechnet und das Wetter geprüft.

Am Flugtag selbst traf sich die gesamte Schulgemeinde im Wienburgpark, um dem Befüllen des Ballons, dem Zusammenbau der Sonde und dem Start beizuwohnen. Schon das Befüllen des Ballons war aufregend, da er immer wieder vom Wind zur Seite gedrückt wurde und am Tisch oder an anderen scharfen Kanten zu reißen drohte. Nachdem er mit 200 Bar Ballongas befüllt worden war, wurden Fallschirm und Sonde befestigt. Die gesamte Technik musste jetzt eingeschaltet, die Sonde verschlossen und der endgültige Start durch einen Anruf beim Tower des Flughafens Münster freigegeben werden.

Der an der Startschnur auf zwanzig Meter hochgelassene Ballon startete unter dem Countdown der Schulgemeinde und wurde nach einer windbedingten Zwischenlandung der Sonde beim Startvorgang mit einem kleinen Schubs auf die Reise geschickt. Der jubelnden Menge und dem Kernteam fiel ein Stein vom Herzen und ähnlich befreit wurden die Sonde und der Ballon am Horizont schnell immer kleiner und waren schon bald nicht mehr zu sehen.

Flugverfolgung:

Während sich die meisten Schülerinnen und Schüler auf den Weg zum Unterricht machten, begab sich die Flugleitung des Jahrgangs 9 schnell ins Mission Control Center im Schlaun und das Bergungsteam machte sich direkt auf den Weg zum prognostizierten Landepunkt in der Nähe von Unna.

Das Mission Control Center diente während des Fluges als Ausgangspunkt für dessen Verfolgung und für die laufende Berichterstattung an die Schulgemeinde sowie über Instagram. Referate wurden für Insta und für die einzelnen Klassen, die das MCC besuchten, gehalten, aktuelle Karten der Position von Ballon und Bergungsteam dargestellt und die prognostizierte mit der echten Flugroute verglichen sowie neue Überlegungen bzgl. des Landeorts angestellt und mit dem Bergungsteam kommuniziert.

Bergung:

In zwei Fahrzeugen hielt sich das Bergungsteam (zwei Lehrer, ein Elternteil, je zwei Schülerinnen und Schüler aus der Projektvorbereitung und dem Medienteam) bereit. Vom Basecamp in Unna wurde in Absprache mit dem MCC der Weg in Richtung des vermeintlichen Landeorts angetreten, als beide GPS-Geräte meldeten, dass die Bewegung beendet sei. Laut dem ersten GPS-Tracker sollte sich der Ballon auf dem Dach eines hohen Gebäudes im Industriegebiet Unnas befinden. Laut dem zweiten GPS-Tracker läge der Ballon auf Bahnschienen, unter einer Autobahnbrücke und zwischen diversen Hochspannungsmasten. Da der Zugang zu letzterem Standort vergleichsweise einfach erschien, wurde dieser zuerst abgesucht. Das Team bahnte sich den Weg durchs Gebüsch und stellte schnell fest, dass der Ballon die angegebene Stelle nur schwer erreicht haben konnte, wenn er nicht direkt auf der Autobahn liegen würde. In der Hoffnung, dass der Ballon zwar die letzte GPS-Position vom Gebäudedach gesendet hatte, dann aber noch weitergeflogen ist und nun kein GPS-Signal mehr senden konnte, wurde die vermeintliche Flugroute verlängert und ein mögliches Landegebiet zwischen Industriegebiet und Autobahn abgesucht. Es überwog die Hoffnung, dass der Ballon über alle Gebäude und Strommasten hinweg gesegelt und genau vor der Autobahn in Bäumen hängen geblieben war. Nach kurzer Suche konnte die kleine Sonde dann auch in einem Baum, ca. einen Meter über dem Boden hängend, entdeckt werden. Der Fallschirm hatte sich jedoch in mehreren Bäumen verfangen und musste freigeschnitten werden. Aber das Bergungsteam war auf alles vorbereitet: neben einem Schlauchboot, einer Kletterausrüstung und einer Leiter war natürlich auch eine Säge im Gepäck. Und dann wurde die geborgene Sonde direkt vor Ort geöffnet.

Der Datenlogger war aktiv und wurde heruntergefahren – die Daten waren gesichert. Bei der Kamerasichtung stellte sich heraus, dass der gesamte Flug durch die „Experimente-Kamera“ aufgenommen werden konnte. Die Bodenkamera hatte die geringen Temperaturen nicht überstanden und den Dienst während des Fluges eingestellt.

Auswertung:

Der Datenlogger lieferte die Informationen, dass der Ballon bei einer Höhe von ca. 37000 m nach ca. 160 Minuten Flugzeit geplatzt ist. Der anschließende Fall des Ballons dauerte ca. 60 Minuten. Die Luftfeuchtigkeit änderte sich von ca. 60% am Boden zu 10% nach ca. 20 Min, 50% nach ca. 30 Min und zu 0% nach 50 Min. Flugzeit. Bei der Landung gab es vergleichbare Werte. Der Luftdruck änderte sich von ca. 1000 hPa am Boden parabelförmig zu 0 hPA nach 150 Min. Flugzeit. Die Steigerung des Luftdrucks beim Fall der Sonde am Fallschirm scheint einen linearen Verlauf zu nehmen. Die Außentemperatur veränderte sich während des Fluges von 20°C am Boden zu 0° nach ca. 25 Min. Nach 60 Min. wurden -40°C erreicht. Von da an stieg die Temperatur wieder, bis sie nach ca. 200 Min. Flugzeit wieder ca. 0°C erreichte. Beim Fall der Sonde nahm die Temperatur nochmals drastisch ab. Hier wurde eine minimale Temperatur von -56°C gemessen. Die Innentemperatur lief der Außentemperatur hinterher und erreichte einen minimalen Wert von ca. -13°C. Eine genauere Auswertung wird in den nächsten Tagen durch die Schülerinnen und Schüler erfolgen.

Abschluss des Projekts:

Die Filmaufnahmen und die Datenauswertung werden am 7.6.23 beim Schulfest der Öffentlichkeit präsentiert.

Fazit:

Die gesamte Schulgemeinde hat mit dem Stratoflight ein sehr aufregendes Projekt durchgeführt, das allen noch lange – emotional und sicher auch fachlich – in Erinnerung bleiben wird. Die wunderschönen Bilder vom Aufstieg des Playmobilmännchens mit der Schlaun-Fahne in der Hand, die Veränderung der Flüssigkeiten in den Reagenzgläsern, das Platzen des Schokokusses und des kleinen Ballons zeigten Naturwissenschaften so lebendig, wie sie sind. Die Aufnahmen vom Platzen des Wetterballons mit dem ungetrübten Blick auf die Sonne vor schwarzem Hintergrund sind beeindruckend. Die Tatsache, dass man etwas an den Rand des Weltalls schicken, die Krümmung der Erde und den Rand der Atmosphäre sehen kann, ist so atemberaubend, dass man nur hoffen kann, dass allen Beteiligten noch klarer geworden ist, wie klein und schützenswert unsere Erde und unser Klima ist und wieviel Kraft durch das eigene Engagement entfaltet werden kann.

Film:

30. Mai 2023